Mittwoch, 4. Februar 2009

Berührung

Berührung

Sie berührten sich oft. Lange war es Janine nicht aufgefallen. Erst als Simon, halb im Scherz, halb mit Ernst begann seine Bemerkungen fallen zu lassen, da erkannte auch Janine, dass seine Beobachtungen keineswegs übertrieben waren.
Simon war der Clown am Set, immer hatte er einen Scherz auf den Lippen und darin lag wohl auch der Grund, dass niemand sein Geplänkel wirklich ernst nahm.
Und dann kannten sie alle Calvin, kannten seine Art. Er umarmte alles und jeden, und mit besonderer Vorliebe seine Kollegen. Als müsse er sich mit jedem verbünden, ein Bindung aufbauen, der ihm in einer Szene zuspielte, so küsste, knuffte oder fuhr er ihm durchs Haar, ob derjenige dies nun gut hieß oder nicht. Es war der Preis dafür, dass er sich wohlfühlte. Und wenn Calvin sich wohlfühlte in seinem Spiel, dann agierte er brillant, einer Oskar-Nominierung würdig, so zumindest die Zeitungen. Wenigstens die Zeitungen, die sich mit einer durchschnittlichen Fernsehserie wie der Ihren beschäftigten.
Obwohl es auf das Ensemble ankam, so gab es doch kaum einen Zweifel, dass Calvins Talent die Show in die erste Riege katapultieren konnte, ließe man ihm genug Freiraum. Doch soweit war es noch nicht. Sein Charakter war wichtig, unbestritten. Ebenso wichtig wie der Kevins.
Dabei begann alles mit der Konzentration auf Kevins Rolle, seine Entwicklung, sein Schicksal. Doch nur nach wenigen Folgen konnten Drehbuchautoren ebenso wenig wie verantwortliche Produzenten die Dynamik übersehen, die beide Schauspieler aus dem Nichts heraus kreierten. Sie reagierten und gebaren neue Handlungsstränge, neue Ideen, überraschende Wendungen.
Und Kevin wuchs über sich hinaus, seine Fähigkeiten wuchsen über alles hinaus, was er bislang gezeigt hatte. So erstaunte es niemanden, der die beiden zusammen erlebte, dass der Jüngere stets nur in den höchsten Tönen und voller tiefer Bewunderung von Calvin sprach. Sie ergänzten sich und die Freundschaft, die sich entwickelte kam natürlich und fließend.
Vielleicht lag es auch am Altersunterschied, am Mangel kollegialen Neides oder einfach an dem lockeren Umgang beider Darsteller mit dem plötzlich eintretenden Erfolg, dass es keinerlei Misstöne gab, dass beide in Interviews den anderen über das werbetechnisch notwendige Maß hinaus lobten und verehrten.
Für Janine war es ihre erste Rolle, ihre erste größere Rolle. Sie war jung und neu in dem Geschäft, mehr durch Zufall dazu gekommen, als durch irgendetwas anderes. Und trotzdem liebte sie es, liebte die Schauspielerei, liebte die Spannung, die Konzentration, das Abrufen höchster Leistungen unter Zeitdruck mehr als alles andere, was sie bislang versucht hatte.
Ihre ersten Schritte als Modell ließen sich besser verwerten, als ihre Agentin geglaubt hatte und so stieg sie rasch zu einer der beliebtesten Charaktere der Serie auf. Nicht von ungefähr und mit Sicherheit hilfreich war die Tatsache, dass sie dazu erkoren war, die große und heimliche Liebe für Kevins Charakter darzustellen. Ein Umstand, der ihr sehr entgegenkam, musste sie doch zugeben, einen schwachen Punkt in sich zu bemerken, jedesmal, wenn Kevin auf sie zukam.
Auch aus diesem Grund machte ihr Herz einen ordentlichen Sprung, als dieser eines Abends nach Drehschluss auf sie zukam.
Janine bemerkte den hilfesuchenden Blick und das darauf folgende, beinahe unmerkliche Nicken, mit dem Calvin antwortete, obwohl er sich gerade im Gespräch mit der Regieassistentin befand. Breit lächelnd und seinen Charme in alle Richtungen versprühend unterhielt er sich, doch seine Augen huschten von Zeit zu Zeit zu Kevin herüber, der immer noch ein wenig unsicher vor ihr stand.
Für einen Augenblick nur fragte Janine sich, wie Calvins Frau es wohl aushielt, dass dieser mit jedem weiblichen Wesen flirtete, mittlerweile offensichtlich ohne sich selbst dessen bewusst zu sein.
Janine legte den Kopf schief und strich ihr rötlich schimmerndes Haar zurück, sich sehr wohl bewusst, dass das Freilegen ihrer weißen Haut am Nacken und der Anblick der weichen Linie, die sich zwischen Hals und Schultern dehnte, ausreichten, um mehr als einen interessierten Betrachter in seinen Knien schwach werden zu lassen.
Auch Kevin schluckte trocken, lächelte dann sein typisches schiefes, jungenhaftes Lächeln und fragte sie, wie erwartet, ob sie nicht Lust habe, mit ihm auszugehen.
Natürlich hatte sie, und selbst wenn seine schlanke, beinahe schlaksige Gestalt und seine dunklen Locken ihr kein angenehmes Kribbeln im Unterleib verursacht hätten, so würde sie doch alleine zusagen, um der Presse eine hübsche Story aufzutischen und somit ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen.
Der Abend verlief nett und harmlos. Sie tasteten sich vorsichtig einander an, lernten sich kennen, doch ohne in die Tiefe zu gehen. Als die Paparazzi auftauchten, nahm Kevin ihre Hand und hielt sie, bis beide sicher gehen konnten, dass alle Schnappschüsse gemacht waren.
„Das war sehr schön“, sagte sie zum Abschied und bot ihm ihre Lippen, die er pflichtschuldig und doch zärtlich küsste. Viel zu kurz, wie sie fand, aber doch ein Anfang.
Und wie sie es sich hätten denken können, war Simon am nächsten Morgen der erste, der einschlägige Artikel und Schlagzeilen zitierte. „Die junge Liebe“, neckte er Janine, die ihm empfahl, seinen Text noch einmal durchzugehen, anstatt dumme Gerüchte zu verbreiten. Schließlich war für gewöhnlich nicht sie es, die Dreharbeiten verzögerte.
Simon jedoch ließ sich nicht beeindrucken. „Du willst also behaupten, es wäre nichts zwischen euch?“, stichelte er weiter.
Gegen ihren Willen fühlte Janine wie ihr das Blut in den Kopf stieg. „Gar nichts“, zischte sie zurück und verteilte Puder auf ihren Wangen. „Wir sind nur Freunde.“
„Ach so“, meinte Simon und steckte die zu seiner Uniform gehörende Marke an, die ebenso falsch war, wie alles andere am Set. „Nur Freunde, so wie Kevin mit Calvin nur befreundet ist.“
Janine entging der giftige Unterton, als sie bestätigte. „Genau so. Wir waren nur essen.“
Simon stand auf und pfiff vor sich hin, zwei der Zeitschriften, die er mitgebracht hatte, vor sich her wedelnd.
Janine zuckte zusammen, als eine lange Gestalt sich plötzlich über sie beugte. Zuerst dachte sie, Kevin würde ihr sanft ins Ohr pusten, doch dann verstand sie die leisen Worte.
„Ich muss mit dir sprechen“, flüsterte er und Janine nickte nur, unfähig zu antworten, da ihr ganzer Körper vibrierte und ihr Blut in den Ohren rauschte.
Doch es schien auch, als habe Kevin weiter nichts sagen wollen, denn als sie wieder zu sich kam, war er bereits verschwunden.
Sie hatten eine Szene zusammen und Janine glaubte, die Spannung knistern zu hören. Jedoch kam das leise Knistern nicht gegen die Funken an, die zwischen Kevin und Calvin flogen, als sie an einem einzigen Drehtag den Bogen zwischen Streit und Versöhnung ihrer Charaktere schlugen.
Janine ging es wie den meisten anderen, die gebannt zusahen, obwohl sie sich eigentlich bereits hätten zurückziehen können. Heimlich bestätigte das Gesehene sie in ihrer Überzeugung, dass die beiden miteinander geübt haben mussten.
Die Zweifel, der Verrat und die unausweichliche Versöhnung entfalteten sich zu perfekt, zu flüssig. Deshalb war Janine auch nicht überrascht, als Kevin die Hand Calvins ergriff und ihn zu ihr führte. Sie berührten sich, während des Spiels und in Wirklichkeit. Ihre Vertrautheit unterstützte ihre Kunst.
Erst als er vor ihr stand, ließ Kevin den anderen Mann los. „Ist es in Ordnung, dass Calvin mitkommt?“, fragte er leise.
Janine sah ihn überrascht an, nickte dann. „Ja doch, warum nicht“, antwortete sie trotz widerstrebender Gefühle.
„Ich habe nicht viel Zeit“, sagte Calvin beinahe entschuldigend. „Aber wir können mit meinem Wagen fahren und zurück nehmt ihr ein Taxi.“
Kevin lächelte, also lächelte auch Janine und erntete von Calvin einen spontanen Kuss auf die Wange.
Es dauerte nicht lange, den Drehtag zu beenden und sich umzuziehen. Dennoch wartete Calvin bereits auf sie und auch auf Kevin. Er schien es wirklich eilig zu haben, ein Umstand, der Janine nicht weiter beunruhigte.
„Wohin fahren wir?“, fragte sie, nachdem sie sich gemütlich in die Polster zurückgelehnt und ihren kurzen Seidenrock glattgestrichen hatte.
Calvin antwortete und Janine nickte erfreut. Ein kleines Weinlokal mit abgetrennten Nischen und großer Betonung auf Privatsphäre. Offenbar war dieser Abend nicht als Futter für die Fotographen geplant.
Der Wein war schwer und süß und Janine fragte sich einen Moment, ob beide Männer ihr zuliebe die gleiche Bestellung getätigt hatten.
Sie deutete auf Calvins Karaffe. „Kannst du danach noch fahren?“
Calvin lächelte und legte eine Hand auf Kevins Arm. Überhaupt saßen die beiden sehr eng zusammen. Janine kam es vor, als würden ihre Knie sich unter dem Tisch berühren.
Nicht, dass sie kein attraktives Bild boten, das musste sie unumwunden zugeben. Beide dunkles Haar, kaffeebraune Augen und beinahe die gleichen Hemden, weiß und steif im Kragen. Sie könnten die Brüder sein, als die sie besetzt worden waren.
„Ich trinke nicht aus“, sagte Calvin. „Kevin bekommt, was mir zu viel ist.“ Ihre beiden Augen trafen sich und Janine bemerkte etwas wie Trauer oder Schmerz in dem dunklen Blick.
Dann sah er auf seinen Teller, sprach jedoch weiter. „Ihr versteht euch also gut, Kevin und du.“
Janine blinzelte. „Ja, ich denke schon.“ Verwundert wandte sie ihre Aufmerksamkeit Kevin zu, bemühte sich, seinen Gesichtsausdruck zu deuten.
„Das ist schön.“ Calvin blickte immer noch nach unten. Mit Messer und Gabel schob er lustlos das Stück Baguette auf seinem Teller hin und her. „Sehr schön.“
„Ich… ich weiß nicht…“ Janine runzelte die Stirn, fühlte sich mit einem Mal bloßgestellt, unvorbereitet auf einer Bühne, ohne auch nur die leistete Ahnung zu haben, was von ihr erwartet wurde.
„Es… es ist ein wenig kompliziert“, murmelte Kevin und Janine bemerkte, dass seine Augenlider flatterten.
Calvin bemerkte dies auch. Er beugte sich zu Kevin, legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Möchtest du das lieber ohne mich…?“, fragte er leise.
Kevin seufzte, drehte dann seinen Kopf, um den anderen direkt anzusehen. „Ich glaube ja“, sagte er leise. „Entschuldige bitte. Ich dachte zuerst, es wäre leichter, wenn du dabei bist… aber jetzt.“
„Ich verstehe.“ Calvin lächelte und küsste ihn auf die Wange. „Ruf mich an“, sagte er, bevor er sich erhob und zu Janine ging, diese ebenfalls liebevoll küsste. „Sei nicht böse auf mich“, wisperte er, ein Hauch nur, so dass sie nicht sicher sein konnte, ob die Worte auch für Kevin gedacht waren.
Janines Frage, warum in aller Welt sie denn böse sein sollte, blieb unausgesprochen, als Calvin die Kellnerin winkte und in der weltgewandten Art, die Janine eher aus seiner Rolle kannte, die Rechnung beglich.
Seine Augen trafen noch für einen Augenblick die Calvins, bevor er sich abrupt umdrehte, als würde ihm der Abschied anders nicht gelingen, und das Restaurant verließ.
Das Schweigen zwischen Janine und Kevin dehnte sich aus, wuchs zur Unbeweglichkeit. Endlich hielt Janine es nicht mehr aus, räusperte sich. Als erwache Kevin aus seinen Gedanken, richtete er sich plötzlich auf, griff nach Calvins Glas und stellte es neben das seine. Seine Finger hielten den Stiel und er betrachtete scheinbar konzentriert die Farbe des Getränks, als er anhob zu sprechen.
„Ich wollte Calvin dabei haben, weil ich dachte, dann wäre es leichter, dir unseren… meinen Vorschlag zu unterbreiten.“
Er schwieg wieder und Janine begann unruhig auf ihrem Sitz hin und her zu rutschen. Das wurde eindeutig immer merkwürdiger.
„Was denn für einen Vorschlag?“, fragte sie schließlich.
Kevin hob das Glas, nippte daran, setzte es dann langsam wieder ab. Erst dann blickte er auf, suchte ihre Augen.
„Janine“, begann er.
„Ja?“ Sie lächelte.
„Du bist eine wunderschöne Frau und ein unglaublich nettes Mädchen.“
Janine hob ihre Augenbrauen. „Danke – denke ich.“
„Doch, das bist du. Und… und ich denke, dass du eigentlich nicht verdient hast, was ich vorhabe, dich zu fragen.“
„Das… hört sich wahrhaftig seltsam an.“ Janina runzelte die Stirn. „Ich verstehe nicht, was du meinst.“
Kevin lehnte sich mit einem Seufzer zurück und fuhr sich durch das dunkle Haar. Dann erst wieder sah er sie an.
„Ich… ich liebe Calvin“, sagte er.
„Ach.“ Janines Mund klappte auf.
„Ich liebe ihn“, wiederholte Kevin. „Und er liebt mich, wir lieben uns. Wir… wir sind ein Liebespaar.“
Janine spürte, wie verlegene Röte ihr Gesicht überzog und sich gleichzeitig eine vage Übelkeit in ihrem Bauch ausbreitete. Das verlief definitiv nicht so, wie sie es sich erhofft hatte.
„Und… und warum erzählst du mir das?“, brachte sie mit Mühe hervor. Ihr Mund war plötzlich trocken und sie griff nach ihrem Wein, trank ein paar große Schlucke.
Als sie wieder aufsah, kam es ihr vor, als hätte auch Kevins Gesicht eine rosa Tönung angenommen. Der Gedanke in Zusammenspiel mit der Wärme, die der Wein in ihrem Inneren verursachte, hob Janines Stimmung ein wenig und sie fürchtete beinahe kichern zu müssen. Eine Reaktion, die ihr dann doch nicht angemessen erschien, zumal sie eine gewisse Enttäuschung auch nicht unterdrücken konnte.
„Ich meine… warum bist du dann mit mir ausgegangen?“, fragte sie.
Kevin seufzte und blickte ihr direkt in die Augen. „Kannst du es dir vorstellen?“
Langsam nickte Janine. „Calvin ist verheiratet“, murmelte sie dann. „Er… er wird sich wohl nicht scheiden lassen?“
Kevin schüttelte den Kopf. „Das… das würde ich auch nicht wollen“, gab er zu und senkte den Blick. „Nicht wirklich.“
„Und ihr… und jetzt braucht ihr eine Ablenkung?“, riet Janine. „Einen Aufhänger, damit das Offensichtliche nicht zu offensichtlich ist?“
Kevin stöhnte. „Du weißt, wie das Studio denkt über… über…“
„Gleichgeschlechtliche Liebe?“, fragte Janine. „Bei mir fänden sie es gut.“
Sein schiefes Lächeln blitzte auf, als Kevin antwortete. „Das ist bei Frauen immer noch ein wenig anders.“
Janine nahm noch einen Schluck. „Ich denke, ich fange an zu verstehen.“ Sie konnte es nicht verhindern, dass Bitterkeit in ihrer Stimme mitklang. „Die Show gestern war ein Test, ob es funktioniert. Und nachdem die Presse angesprungen ist, dachte Calvin, es sei an der Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen.“
„Das war nicht Calvins Idee“, entschlüpfte es Kevin in härterem Tonfall, als beabsichtigt. „Er… ich denke, er würde es sogar öffentlich machen… wenn… wenn seine Frau nicht wäre und er ihr nicht wehtun wollte.“
Janine schnaubte. „Da kommt er jetzt drauf?“
Kevins Blick traf den ihren und wirkte nun so flehentlich, dass Janine nicht anders konnte, als sich zu fragen, wer eigentlich den dominierenden Part in dieser Beziehung einnahm. Und Kevins folgende Worte bestätigten ihre Vermutung.
„Ich könnte es nicht ertragen, wenn… wenn alle Bescheid wüssten“, gab er gequält zu. „Nicht nur wegen…“ Er vollführte eine ungenaue Handbewegung, sank dann, wenn überhaupt möglich, noch tiefer in sich zusammen.
„Ich kann es einfach nicht… es geht nicht. Nicht jetzt… nicht zu diesem Zeitpunkt.“
„Und ich… ich soll deine Freundin spielen?“
Janine holte tief Luft, bemühte sich den Schmerz fort zu atmen, der in ihr aufklaffte.
„Nein.“ Kevin sah wieder auf. „Nicht nur spielen.“ Er biss sich auf die Unterlippe und sah sie so unglücklich an, dass sie fast gerührt war. „Ich… ich möchte wirklich mit dir zusammen sein.“
„In der Öffentlichkeit… auf Premieren…“, ergänzte sie fragend.
„Auch“, gab Kevin zu. „Aber nicht nur.“
„Du… du möchtest eine Frau, für die Zeit, wenn Calvin mit seiner Familie zusammen ist“, schloss Janine.
„Ein normales Leben“, sagte Kevin schwach. „Wenigstens soviel davon, wie ich haben kann.“
Janine schwieg und verstand. Ein normales Leben. Etwas, wovon sie lange nicht mehr bewusst geträumt hatte. Und obwohl sie wusste, dass sie es nie haben könnte, im Grunde ihres Herzens wahrscheinlich auch niemals haben wollte, blieb doch die Illusion, das rahmenhafte Gebilde ein Gerüst, an dem festzuhalten, sie sich wünschte. Ein unterschwelliger Wunsch, einer, der niemals ausgesprochen, nicht einmal in Gedanken formuliert wurde, doch glich er einer Sehnsucht, an deren Unstillbarkeit sie sich gewöhnt hatte.
„Ein normales Leben“, wiederholte sie laut, aber nachdenklich. „Du sprichst von Premieren, gemeinsamen Auftritten, Gastspielen, wie dem gestern.“
Kevin nickte vage. „Vielleicht auch mehr.“
„Mehr, wie zusammen wohnen?“
Kevin zog eine Augenbraue hoch. „Vielleicht. Warum nicht? Eines Tages?“
„Hm.“ Janine begann es sich vorzustellen.
„Wie viel von alldem wäre Show?“, fragte sie nach einer Weile sachlich.
Und plötzlich lächelte Kevin. „So viel du willst“, antwortete er.
Sie sah ihn an, spitzte nachdenklich die Lippen. „Du machst mir demnach einen Antrag mit allem Drum und Dran, nur unter der Voraussetzung, dass ich die Sache zwischen dir und Calvin akzeptiere und geheim halte.“
Kevin atmete aus. „Das wäre so ungefähr der Deal.“
Janine wog Vorteile gegen Nachteile ab und kam zu einem Schluss. „Du würdest alles tun, was ich dir sage?“
„Nun, vielleicht nicht alles.“ Kevin lächelte wieder. „Aber sicher das, woran du denkst.“
Janine kicherte. „Du wärst mein Traumprinz?“
„Dein was?“ Kevins Blick weitete sich belustigt.
Janine zuckte mit den Schultern. „Nun – irgendetwas möchte ich auch davon haben. Und ein Verhältnis mit einem Mann wie dir, einem gutaussehenden, erfolgreichen Mann, der mir sicher in mehr als einer Hinsicht Wege ebnen kann, mir helfen wird, aus meinem Namen einen Begriff zu machen und der mich zudem auf Händen trägt, mich ausführt, öffentlich beschenkt…“ Sie kicherte wieder, nickte dann. „Ich denke, das wäre es mir wert.“
„Wirklich?“ Kevin sah sie gespannt an und Janine nickte, seufzte und legte dann ihre Hand auf die Seine.
„Wirklich und ehrlich. Ich gebe zu, dass meine Vorstellung ein wenig romantischerer Natur waren, aber letztendlich geht es doch darum, so pragmatisch wie möglich zu sein.“
Kevin nahm ihre Hand auf, drehte sie in der Seinen und küsste ihre Handinnenfläche. „Ich wusste, dass du die Richtige bist“, sagte er leise. „Danke.“
Janine lächelte. Wenn dies das Beste war, was sie bekommen konnte, dann sollte der Teufel sie holen, wenn sie es sich nicht nähme.

Über Fandom, Fanfiction und Bruderslash

Eine merkwürdige Entwicklung findet statt in der Welt der Fandoms. Und ich kenne mich aus, seitdem eine leider jüngst verstorbene Freundin mich behutsam in diese geheimnisvolle Welt eingeführt hat. Sie war eine der ersten, eine Pionierin in Sachen Fankultur, eine Expertin auf ihrem Gebiet, Frau der ersten Stunden.

Sie lehrte mich, dass alles mit den Visionen eines Gene Roddenberry begann. Sie lehrte mich, dass Star Trek für immer Mutter und Vater einer Kunstform bleiben würde, deren Existenz vielen Menschen für immer unbekannt sein wird. Andere handeln sie mit einem mitleidigen Lächeln ab, verstehen die Begeisterung, die Hingabe, den Enthusiasmus nicht, mit dem unzählige Menschen aus ihrem Schattendasein heraustreten, um ohne Bezahlung, ohne Anerkennung, ohne den geringsten Gewinn, Arbeiten verrichten, die Tage, Wochen, manchmal Jahre dauern.

Ein Hobby sagt vielleicht mancher, doch es handelt sich um mehr, handelt sich um kreativen Ausdruck einer Besessenheit, die danach schreit, ein Ventil zu finden.
Es sind phantasiebegabte Menschen, Menschen, die in ihrem Leben lange suchen mussten, bis sie etwas fanden, das ihre Gedanken, Gefühle, Sinne besetzen, ihnen geistige Höhenflüge und kindliche Begeisterung verschaffen konnte. Einen Trost in einer Welt, die nicht viel übrig hat für Kreativität, die keinem ökonomischen Zwecke dient.

Wenn die Gedanken auf Reisen gehen, durch den Kosmos wirbeln, ohne dass sie ein Ziel finden, fühlt sich dieser Mensch haltlos. Diesen Halt entdeckt er in einer Geschichte, die ihn fasziniert, nicht mehr los lässt, im besten Sinne fesselt. Und ebenso wenig, wie diesem Menschen die Welt ausreicht, die vor ihm liegt, ebenso wenig reichen ihm die Appetithappen, die Film- und Fernsehschaffende ihm darbieten. Das Geschehen ist nie genug, es kann nicht genug sein, endet doch die Phantasie der gewerblich tätigen Schreiber genau dort, wo ihnen Produktionsfirmen oder andere Mächte, die da sind, einen Strich durch die Rechnung machen.

Kein Wunder also, dass begabte und vielleicht auch weniger begabte, doch nicht minder engagierte Anhänger eines erfundenen Universums nicht anders können, als auf diesem Spielplatz weiterzuspielen, zu forschen, zu dichten, zu malen oder schneidern. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt, unbeschränkt, fliegen frei wie Vögel. Bis auf eine Ausnahme. Lediglich der Inhaber von Urheberrechten vermag, dem kreativen Geist Einhalt zu gebieten, indem er sich öffentlich gegen die Nutzung seiner Kreaturen und Umstände ausspricht, so geschehen im Fall Anne Rice.

Jedoch sind die meisten, vornehmlich Serienschaffenden, flexibel, wenn nicht gar aufgeschlossen, geht es um die lockere Ausnutzung der Rechte.
Nicht zuletzt kennen die Verantwortlichen seit Star Trek die Werbewirksamkeit einer geballten Fan-Initiative. Und da es als Gesetz gilt, kein Geld mit dem Erdichten von sich im Canon befindlichen Geschichten zu verdienen, kommt jede Aufmerksamkeit, jeder Erlös niemand anderem als dem wahren Inhaber der Urheberrechte zugute.

Der schreibende Fan an sich lebt und arbeitet für seine Leidenschaft. Doch nicht selten findet er Anhänger, die ihm und seinen Geschichten durch verschiedene Fandoms folgen, die letztendlich alles, was er schreibt, begeistert aufsaugen.
Ebenso wie in Fantreffen Erfahrungen, Bilder, Kostüme ausgetauscht und gehandelt werden, so bietet auch das Verfassen von Fanfiction dem Schreiber nicht nur die Möglichkeit des Ausdruckes, nach dem es ihn gelüstet, es schenkt ihm auch den Kontakt zu Gleichgesinnten, die zumeist im wahren Leben spärlicher gesät oder unter Umständen sogar nur im Verborgenen blühen.

Doch in dem Moment, in dem sich die Phantasien überschneiden oder auch ergänzen, entdeckt auch der Fanfiction Schreiber einen Grund dafür, weiterzumachen, in seiner Odyssee fortzufahren.

Und damit komme ich zur Untergruppe der Fanfiction, zur berühmt berüchtigten Gruppierung der Slasher und Slasherinnen.
Dies sind Schreiber, deren besondere Leidenschaft der Entwicklung von Romanzen gilt, die zumeist im Fandom nicht einmal angedeutet, lediglich in den Träumen und Wunschvorstellungen der Verfasser existieren.

Es handelt sich dabei um die Ausarbeitung gleichgeschlechtlicher Beziehung, wiederum mit einem Vorreiter aus dem Star Trek Universum, den immer noch unerreichten Weltraumhelden, Kirk und Spock.
Ihre Liebe fasziniert bis heute und gewinnt mit Sicherheit mit der Ausstrahlung des neuen Enterprise Filmes an Einfluss innerhalb aller Fandoms.

Denn dieser gibt es mittlerweile unzählige. Sie schießen aus dem Boden wie Unkraut, mit jedem Tag, mit jeder neuen Serie entstehen neue Träume, neue Fantasien, neue Ausuferungen menschlicher Vorstellungskraft.

Zeigt doch die bereits zu Beginn dieses Artikels angesprochene Entwicklung nur allzu deutlich, dass Ziel und Zweck der Fanfiction die Entfernung von Grenzen und Barrieren sind, Visionen, die ausgelebt werden. Im besten Fall geht es dabei um die Akzeptanz und Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Beziehungen, um den Sieg der Liebe über veraltete Moral- und Wertvorstellungen. Ein Sieg, der errungen wird, indem allseits geliebte, verehrte Figuren sich in dieser Rolle wiederfinden und sie in gewohnt heldenhafter Manier bewältigen, vielleicht sogar Bestehendes ändern, verbessern.

Doch was ist davon zu halten, wenn sich die Fanfiction heikler Themen annimmt, über die zu urteilen, jedermann schwer fällt. So geschehen in der Rubrik RPS – Real Person Slash – in der tatsächlich existierenden Berühmtheiten angedichtet wird, was man nicht wagen würde, ihnen laut ins Gesicht zu sagen.
So geschehen ebenfalls in der sich zunehmender Beliebtheit erfreuenden Rubrik des Inzest-Slash.
Dabei ist die Erklärung nicht einmal weit hergeholt.
Mehr und mehr Serien konzentrieren sich um ein Bruderpaar. Sei es, dass diese gemeinsam aus dem Gefängnis ausbrechen, Dämonen jagen, FBI-Jobs erledigen oder überraschend mit Superkräften gesegnet werden.
Die besondere Dynamik der nicht selten komplizierten Geschwisterbeziehung kollidiert hierbei mit der fraglos existierenden Attraktivität der Betreffenden. Selbstverständlich sehen sie gut aus, tragen sie doch auf ihren Schultern den Erfolg der Serie.
Und so findet sich auch für jeden Geschmack ein passendes Duo, findet sich der Sensible und der Bulle, der Kluge und der Rabiate, ebenso wie der Politiker und der Krankenpfleger.
Es gibt nichts, was es nicht gibt, und so gibt es mittlerweile eine Vielzahl von in unsterblicher Liebe miteinander verbundenen Brüderpaaren, die gequält von Schuld und Zweifeln, gejagt von den ihnen eigenen Dämonen und Schrecknissen, doch ihrer Schwäche immer wieder nachgeben, ihr nachgeben müssen.

Grenzwertig und ‚disgusting‘, wie meine Fandom-erfahrene Freundin einst sagte. Und doch faszinierend, ein Abgrund menschlichen Verhaltens, das noch tabuisiert, aber vielleicht ebenso wie einst die Homosexualität auf einem Umweg wie diesen den Weg in Diskussion und Aufmerksamkeit findet.

Es lässt sich streiten darüber, wohin Geschichten wie diese führen. Doch unbestreitbar bleibt, dass ein Tabubruch stets ein Aufatmen der Betroffenen mit sich zieht. Ebenso wenig lässt sich darüber streiten, dass die Problematik, die Seelenqual, das Leiden der Charaktere in den wahrhaft guten Werken betreffender Fanfiction, keineswegs ausgeklammert, sondern im Gegenteil einen wichtigen Platz einnimmt.
Wir werden sehen, wohin das führt.