Mittwoch, 4. Februar 2009

Über Fandom, Fanfiction und Bruderslash

Eine merkwürdige Entwicklung findet statt in der Welt der Fandoms. Und ich kenne mich aus, seitdem eine leider jüngst verstorbene Freundin mich behutsam in diese geheimnisvolle Welt eingeführt hat. Sie war eine der ersten, eine Pionierin in Sachen Fankultur, eine Expertin auf ihrem Gebiet, Frau der ersten Stunden.

Sie lehrte mich, dass alles mit den Visionen eines Gene Roddenberry begann. Sie lehrte mich, dass Star Trek für immer Mutter und Vater einer Kunstform bleiben würde, deren Existenz vielen Menschen für immer unbekannt sein wird. Andere handeln sie mit einem mitleidigen Lächeln ab, verstehen die Begeisterung, die Hingabe, den Enthusiasmus nicht, mit dem unzählige Menschen aus ihrem Schattendasein heraustreten, um ohne Bezahlung, ohne Anerkennung, ohne den geringsten Gewinn, Arbeiten verrichten, die Tage, Wochen, manchmal Jahre dauern.

Ein Hobby sagt vielleicht mancher, doch es handelt sich um mehr, handelt sich um kreativen Ausdruck einer Besessenheit, die danach schreit, ein Ventil zu finden.
Es sind phantasiebegabte Menschen, Menschen, die in ihrem Leben lange suchen mussten, bis sie etwas fanden, das ihre Gedanken, Gefühle, Sinne besetzen, ihnen geistige Höhenflüge und kindliche Begeisterung verschaffen konnte. Einen Trost in einer Welt, die nicht viel übrig hat für Kreativität, die keinem ökonomischen Zwecke dient.

Wenn die Gedanken auf Reisen gehen, durch den Kosmos wirbeln, ohne dass sie ein Ziel finden, fühlt sich dieser Mensch haltlos. Diesen Halt entdeckt er in einer Geschichte, die ihn fasziniert, nicht mehr los lässt, im besten Sinne fesselt. Und ebenso wenig, wie diesem Menschen die Welt ausreicht, die vor ihm liegt, ebenso wenig reichen ihm die Appetithappen, die Film- und Fernsehschaffende ihm darbieten. Das Geschehen ist nie genug, es kann nicht genug sein, endet doch die Phantasie der gewerblich tätigen Schreiber genau dort, wo ihnen Produktionsfirmen oder andere Mächte, die da sind, einen Strich durch die Rechnung machen.

Kein Wunder also, dass begabte und vielleicht auch weniger begabte, doch nicht minder engagierte Anhänger eines erfundenen Universums nicht anders können, als auf diesem Spielplatz weiterzuspielen, zu forschen, zu dichten, zu malen oder schneidern. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt, unbeschränkt, fliegen frei wie Vögel. Bis auf eine Ausnahme. Lediglich der Inhaber von Urheberrechten vermag, dem kreativen Geist Einhalt zu gebieten, indem er sich öffentlich gegen die Nutzung seiner Kreaturen und Umstände ausspricht, so geschehen im Fall Anne Rice.

Jedoch sind die meisten, vornehmlich Serienschaffenden, flexibel, wenn nicht gar aufgeschlossen, geht es um die lockere Ausnutzung der Rechte.
Nicht zuletzt kennen die Verantwortlichen seit Star Trek die Werbewirksamkeit einer geballten Fan-Initiative. Und da es als Gesetz gilt, kein Geld mit dem Erdichten von sich im Canon befindlichen Geschichten zu verdienen, kommt jede Aufmerksamkeit, jeder Erlös niemand anderem als dem wahren Inhaber der Urheberrechte zugute.

Der schreibende Fan an sich lebt und arbeitet für seine Leidenschaft. Doch nicht selten findet er Anhänger, die ihm und seinen Geschichten durch verschiedene Fandoms folgen, die letztendlich alles, was er schreibt, begeistert aufsaugen.
Ebenso wie in Fantreffen Erfahrungen, Bilder, Kostüme ausgetauscht und gehandelt werden, so bietet auch das Verfassen von Fanfiction dem Schreiber nicht nur die Möglichkeit des Ausdruckes, nach dem es ihn gelüstet, es schenkt ihm auch den Kontakt zu Gleichgesinnten, die zumeist im wahren Leben spärlicher gesät oder unter Umständen sogar nur im Verborgenen blühen.

Doch in dem Moment, in dem sich die Phantasien überschneiden oder auch ergänzen, entdeckt auch der Fanfiction Schreiber einen Grund dafür, weiterzumachen, in seiner Odyssee fortzufahren.

Und damit komme ich zur Untergruppe der Fanfiction, zur berühmt berüchtigten Gruppierung der Slasher und Slasherinnen.
Dies sind Schreiber, deren besondere Leidenschaft der Entwicklung von Romanzen gilt, die zumeist im Fandom nicht einmal angedeutet, lediglich in den Träumen und Wunschvorstellungen der Verfasser existieren.

Es handelt sich dabei um die Ausarbeitung gleichgeschlechtlicher Beziehung, wiederum mit einem Vorreiter aus dem Star Trek Universum, den immer noch unerreichten Weltraumhelden, Kirk und Spock.
Ihre Liebe fasziniert bis heute und gewinnt mit Sicherheit mit der Ausstrahlung des neuen Enterprise Filmes an Einfluss innerhalb aller Fandoms.

Denn dieser gibt es mittlerweile unzählige. Sie schießen aus dem Boden wie Unkraut, mit jedem Tag, mit jeder neuen Serie entstehen neue Träume, neue Fantasien, neue Ausuferungen menschlicher Vorstellungskraft.

Zeigt doch die bereits zu Beginn dieses Artikels angesprochene Entwicklung nur allzu deutlich, dass Ziel und Zweck der Fanfiction die Entfernung von Grenzen und Barrieren sind, Visionen, die ausgelebt werden. Im besten Fall geht es dabei um die Akzeptanz und Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Beziehungen, um den Sieg der Liebe über veraltete Moral- und Wertvorstellungen. Ein Sieg, der errungen wird, indem allseits geliebte, verehrte Figuren sich in dieser Rolle wiederfinden und sie in gewohnt heldenhafter Manier bewältigen, vielleicht sogar Bestehendes ändern, verbessern.

Doch was ist davon zu halten, wenn sich die Fanfiction heikler Themen annimmt, über die zu urteilen, jedermann schwer fällt. So geschehen in der Rubrik RPS – Real Person Slash – in der tatsächlich existierenden Berühmtheiten angedichtet wird, was man nicht wagen würde, ihnen laut ins Gesicht zu sagen.
So geschehen ebenfalls in der sich zunehmender Beliebtheit erfreuenden Rubrik des Inzest-Slash.
Dabei ist die Erklärung nicht einmal weit hergeholt.
Mehr und mehr Serien konzentrieren sich um ein Bruderpaar. Sei es, dass diese gemeinsam aus dem Gefängnis ausbrechen, Dämonen jagen, FBI-Jobs erledigen oder überraschend mit Superkräften gesegnet werden.
Die besondere Dynamik der nicht selten komplizierten Geschwisterbeziehung kollidiert hierbei mit der fraglos existierenden Attraktivität der Betreffenden. Selbstverständlich sehen sie gut aus, tragen sie doch auf ihren Schultern den Erfolg der Serie.
Und so findet sich auch für jeden Geschmack ein passendes Duo, findet sich der Sensible und der Bulle, der Kluge und der Rabiate, ebenso wie der Politiker und der Krankenpfleger.
Es gibt nichts, was es nicht gibt, und so gibt es mittlerweile eine Vielzahl von in unsterblicher Liebe miteinander verbundenen Brüderpaaren, die gequält von Schuld und Zweifeln, gejagt von den ihnen eigenen Dämonen und Schrecknissen, doch ihrer Schwäche immer wieder nachgeben, ihr nachgeben müssen.

Grenzwertig und ‚disgusting‘, wie meine Fandom-erfahrene Freundin einst sagte. Und doch faszinierend, ein Abgrund menschlichen Verhaltens, das noch tabuisiert, aber vielleicht ebenso wie einst die Homosexualität auf einem Umweg wie diesen den Weg in Diskussion und Aufmerksamkeit findet.

Es lässt sich streiten darüber, wohin Geschichten wie diese führen. Doch unbestreitbar bleibt, dass ein Tabubruch stets ein Aufatmen der Betroffenen mit sich zieht. Ebenso wenig lässt sich darüber streiten, dass die Problematik, die Seelenqual, das Leiden der Charaktere in den wahrhaft guten Werken betreffender Fanfiction, keineswegs ausgeklammert, sondern im Gegenteil einen wichtigen Platz einnimmt.
Wir werden sehen, wohin das führt.

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